Die Urkunde aus dem Jahre 923 (NATIONALBIBLIOTHEK Paris BN nouv. latin 22281 Nr. 2) |
Der Prekarievertrag zwischen dem edlen Herrn Gozbert und dem Kloster St. Maximin aus dem Jahre 923
Dittmar Lauer _________________________________________________________________________________
Der lateinische Text
Cunctorum prudentium industrie liquido patet. quod de temporalibus
beneficiis premia mereantur eterna. et de rebus transitoriis acquiri
possunt lucra sine fine mansura. quod Gozbertus uir inlustris
diligenter mente pertractans pro sempiternis remediis acquirendis. nec
non pro presentibus uite commodis quandam portionem suarum rerum ad
monasterium s. Maximini et ad ministerium porte pretextu precarie
statuit delegare. qui cum sue dispositionis uoluntatem fratribus
indicasset. miserunt Bodonem et Moterum. Gainardum et Uigericum. ut
utrumque superuiderent quod dare et accipere uolebat. Qui diligenter
utrisque partibus preuisis. cum fratribus renunciassent per eorum
omnium consensum et collaudamentum statuerunt illius petitioni annuere.
Dedit igitur prefatus Gozbertus legali traditione ad monasterium s.
Maximini et ut dictum est. ad ministerium porte mansum unum in uilla et
marca Callidi. quem tenet Liuduinus seruus ipsius. et in alio loco
inter Ruuerum et Kuningesbach ubi simul conueniunt mansum
indominicatum. cum edificiis supra positis. et omnibus illius
adiacentiis. et VII. mancipiis. et inter duos riuos qui uocantur
Polmbach mansum unum. et ad fermari riuum mansum I. Accepit
autem econtra per legitimam et firmissimam traditionem de potestate s.
Maximini. et de ministerio portarie iure precario mansos seruiles VI.
in uilla subterioris Callidi et marca illius uocabuli. cum omnibus
eorum appendiciis et cunctis mancipiis de potestate illius ibidem
residentibus. ea nimirum ratione atque conditione. ut per precariam
idem Gozbertus omnibus uite sue diebus. et post illum filius eius
Gozbertus et Bodo prepositus utrumque. datum scilicet et acceptum. ab
hodierna die in posterum usufructuario teneant. et cum omni libertate
atque securitate illarum rerum omnimodis usibus secundum propriam
dispositionem potiantur. Post illorum uero discessum omnes
res ambarum partium absque ullius diminutionis detrimento. imo cum
meliorationis integritate ad partem s. Maximini et ad ministerium
portarie sine aliqua cuiuspiam contradictione redeant. et in eius
dominationis iure perpetua stabilitate consistant. cum stipulatione
subnixa. S. Bodonis prepositi, s. Motarii cambrarii, s.
Uulflaici decani, s. Rotberti portarii, s. Bonefacii ministerialis
fratrum, s. Gainardi susceptoris pauperum. s. Madelonis diaconi, s.
Asulfi, s. Uuigerii diaconi, s. Norperti presb., s. Tietgaudi presb.,
s. Godeberti, s. Hereberti, s. Nantelini, s. Adelberti, s.
Uuenidonis. s. Uolmari aduocati. per cuius manum tradicio hec facta
fuisse dinoscitur, s. Gozberti, s. Rorici, s. Oftarii, s. Heribrandi,
s. Gozberti iunioris, s. item Gozberti, Uogo cancellarius scripsit
& subscripsit. Actum Treueris. anno
dominice incarnat. D.CCCC.XXIII. anno uero domni Karoli gloriosi regis
XII, in regno quondam Hlotarii. indict. XI. in mense Iunio.
Die deutsche Übersetzung
Für alle klugen Leute ist einsichtig, dass durch zeitliche Wohltaten
ewiges Ver-dienst und durch Übertragung von Vermögen grenzenloser
Gewinn erworben werden kann. Daher hat der vornehme Herr Gozbert nach
reiflicher Überlegung, um immerwährendes Heil und Wohlergehen für das
gegenwärtige Leben zu erlangen, nach gewissenhaftem Überdenken
bestimmt, einen gewissen Teil seines Besitzes dem Kloster St. Maximin
und dem Pfortenamt in Form einer Prekarie zu übertragen. Nachdem er den
Ordensbrüdern seinen Willen kundgetan hatte, entsandtem diese Bodo und
Motarius, Gainard und Wigerich, damit sie beaufsichtigen, was Gozbert
zu geben und zu empfangen wünschte. Diese beobachteten alles
gewissenhaft und berichteten den Ordensbrüdern über die Einigung und
man stimmte den Vorschlägen Gozberts zu. Es gab also der
vorgenannte Gozbert in rechtmäßiger Übereignung dem Klos-ter St.
Maximin und, wie gesagt, dem Pfortenamt einen Mansus im Ort und auf dem
Bann Kell, den sein Knecht Liudwin verwaltete, und an einer anderen
Stelle zwischen Ruwer und Königsbach, wo sie zusammenkommen, einen
Herrenmansus mit darauf stehenden Gebäuden und allem Zubehör und sieben
Hintersassen, nämlich Fredechone und seine Frau Werinza und deren vier
Kinder, und einen Mansus zwischen zwei Bächen, welche Polmbach genannt
werden, und eine Hufe am Fermari rivus. Er erhielt dagegen
durch rechtmäßige und sichere Übertragung aus der Herr-schaft des
Klosters St. Maximin und dem Pfortenamt zu Precarierecht sechs
Dienstmansen im Ort unterhalb von Kell und dem Bann jenes Namens mit
allem Zubehör und sämtlichen dort lebenden Hintersassen, und zwar unter
der Bedingung, dass Gozbert sein Leben lang und nach ihm sein Sohn
Gozbert und der Propst Bodo das Gegebene und das Erworbene vom heutigen
Tage zur Nutznießung nach Precarierecht erhalten und darüber in aller
Freiheit und Sicherheit verfügen können. Nach ihrem Ableben
fallen alle Vermögensteile beider Parteien ohne jeden Abstrich, jedoch
mit allen Besserungen ohne Widerspruch heim und unversehrt an das
Kloster St. Maximin und das Pfortenamt zurück, um ewig in deren Besitz
zu bleiben. Siegel des Propstes Bodo, Siegel des
Kämmerers Motarius, Siegel des Dekans Wulflaicius, Siegel des Pförtners
Rotbert, Siegel des Klosterministerialen der Brüder Bonefacius, Siegel
des Armenfürsorgers Gainard, Siegel des Diakons Madelon, Siegel des
Asulfius, Siegel des Diakons Wigerich, Siegel des Priesters Norpert,
Siegel des Priesters Tietgaudi, Siegel des Godebert, Siegel des
Herebert, Siegel des Nantelinus, Siegel des Adelbert, Siegel des
Wenidonus, Siegel des Vogtes Wolmar, durch dessen Hand diese
Übertragung stattfand, Siegel des Gozbert, Siegel des Roricus, Siegel
des Oftarius, Siegel des Heribrand, Siegel des Gozbert iunior, Siegel
ebenso des Gozbert, Ogo Kanzler hat geschrieben und unterschrieben.
Verhandelt zu Treueris, anno dominicae incarnationis DCCCCXXIII anno
vero domni Caroli gloriosi regis XII, in regno quondam Hlotarii.
Indictione XI. in mense Iunio
Überlieferung der Urkunde
Über das Grimo-Testament aus dem Jahre 634, die älteste Urkunde der
Rheinlande, in der u.a. auch die Hochwalddörfer Kell und Schöndorf
erstmals urkundlich erwähnt sind, finden sich im Zusammenhang mit der
1375-Jahr-Feier im Jahre 2009 mehrere Hinweise und Erläuterungen in den
vergangenen Annalen. Bei der hier vorgestellten Urkunde handelt es sich
um einen im Juni des Jahres 923 in Trier zwischen einem gewissen
vornehmen Herrn Gozbert und der Abtei St. Maximin ausgestellten
Prekarievertrag. Diese zweitälteste Urkunde, in der Kell Erwähnung
findet, war bisher nur im Druck bekannt, zuerst in der von Nikolaus von
Hontheim im Jahre 1750 herausgegebenen Historia Trevirensis diplomatica
et pragmatica (Band 1, Nr. 165, Seite 267) und 1860 im
Mittelrheinischen Urkundenbuch (Band 1, Nr. 163, Seite 227f.) von
Heinrich Beyer. Als Vorlage diente Beyer das große Diplomatar der Abtei
St. Maximin, eine umfangreiche Sammlung von Urkundenabschriften in
mehreren Bänden. Auf der Suche nach einer Ausfertigung
(Original) oder einer zeitnahen Abschrift der Urkunde fand sich ein
Hinweis auf die Universitätsbibliothek Heidelberg. Eine Nachfrage
verlief allerdings negativ. Erst die Recherche in der
Nationalbibliothek in Paris brachte den gewünschten Erfolg. Unter der
Signatur BN nouv.latin 22281 Nr. 2 wird dort der Prekarievertrag aus
dem Jahre 923 aufbewahrt. Bei der Frage nach der Echtheit der
Urkunde war Prof. Dr. Theo Kölzer vom Institut für
Geschichtswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in
Bonn dankens-werterweise behilflich: ‚Ihre‘ Urkunde von 923 ist, wie
das mir verfügbare Vergleichsmaterial nahelegt, ganz sicher kein
Original, sondern ist paläographisch m.E. dem letzten Drittel des 10.
Jh. zuzuweisen. Wie das zu deuten ist, bleibt einstweilen offen, denn
ähnliche Befunde gelten, fürchte ich, auch für andere Privaturkunden
des Maximiner Fonds. Nach meiner Erfahrung sind aber solche
‚Neuausfertigungen‘ nicht selten historisch verlässlich, denn zu
welchem Zweck fälscht man eine ‚Privaturkunde‘? Kurz: m.E. kein
Original, sondern wohl eine formale Fälschung – ‚Neuausfertigung‘ – die
bis zum Nachweis des Gegenteils als historisch verlässlich zu
betrachten sein dürfte. Inhalt der Urkunde
Zwischen dem Grimo-Testament von 634 und dem Prekarievertrag von 923
liegen fast 300 Jahre. Da der reiche und mildtätige Diakon Adalgisel,
der sich auch Grimo nannte, seinen Keller Besitz der Kirche St. Peter
in Temmels vermacht hatte, können die beiden Urkunden in keiner
Verbindung stehen. Aus der Urkunde geht hervor, dass der
vornehme Herrn Gozbert ein reich begüterter Mann gewesen ist mit
etlichen Höfen und Ländereien. Dieser Besitz wird ein Lehen der Trierer
Erzbischöfe gewesen sein, die seit der Schenkung des Hochwaldes durch
den lotharingischen Königs Zwentibold im Jahre 897 verdiente Männer aus
ihrem erzbischöflichen Umfeld dort ansiedelten und mit entsprechendem
Dienstgut ausstatteten. Im Jahre 923 übertrugen Gozbert und
sein gleichnamiger Sohn einen gewissen Teil ihres umfangreichen
Besitzes der Abtei St. Maximin und dem Pfortenamt und erhielten dafür
St. Maximiner Besitz zur Nutznießung auf eine bestimmte Zeit – in
diesem Falle bis zum Ableben seines Sohnes Gozbert junior. Mit dessen
Tod sollten nun alle Vermögensteile beider Parteien auf Dauer an die
Abtei St. Maximin fallen. Der Vorteil für die Vertragspartner bei
dieser Art der Vertragsgestaltung – in Form einer sogenannten Prekarie
– bestand darin, dass zum einen Gozbert und sein Sohn ihren Grundbesitz
und damit ihre wirtschaftliche Basis auf eine begrenzte Zeit vermehren
und Nutzen daraus ziehen konnten und zum anderen das Kloster St.
Maximin nach Ablauf der Vertragsfirst in den dauerhaften Besitz des
gesamten Besitzes kam. Worin nun bestand der dem
Prekarievertrag zu Grunde liegende Besitz des edlen Herrn Gozbert, der
ja nur einen gewissen Teil seines umfangreichen Besitzes ausmachte? In
Kell besaß er einen von einem gewissen Liudwin verwalteten Hof (Mansus
= Hufe), darüber hinaus einen Herrenhof (mansus indominiatus) am
Zusammenfluss von Ruwer und Kuningesbach (Königsbach?) unter Aufsicht
und Verwaltung von Fredechone, der mit seiner Frau Werinza und vier
Kindern auf dem Hof lebte. Zu Gozberts Besitz gehörten zwei weitere
Höfe zwischen zwei Polmbach genannten Bächen und am Fermari rivus. Der
Besitz der Abtei St. Maximin – sechs Diensthöfe (mansos seruiles VI)
mit allem Zubehör und sämtlichen dort lebenden Hintersassen – lag im
Ort unterhalb von Kell (in uilla subterioris Callidi), womit nur die
Doppelgemeinde Mandern-Niederkell gemeint sein kann. Nach einem
Güterverzeichnis der Abtei St. Maximin Anfang des 13. Jahrhunderts
gehören zu dieser Zeit – also rund 300 Jahre später – der Abtei St.
Maximin acht gehörende Hufen in Mandern (in Mandre sunt octo mansi).
Ehemals Gozbert’scher Besitz in Kell, der ja entsprechend dem
Prekarievertrag an die Abtei St. Maximin heimgefallen war, lässt sich
später nur noch bruchstückhaft nachweisen: unsere und unseres
Gotteshauses (gemeint ist die Abtei St. Maximin) sogenannte Rupert
Elends Mühle zu Kell samt dem dazugehörigen Wohnhaus und Stallungen als
wohl allen Zugehörungen... Im sogenannten Liber annalium
iurium archipiscopi..., einer ausführlichen Bestandsaufnahme der
jährlichen Einkünfte des Trierer Erzbischofs Johann I. um 1215, hat der
Erzbischof in Kell sechs Höfe und sieben Hofstätten (aree), sowie einen
Glashof (mansus vitri) und einen Hof, der zur Kirche gehört. Außerdem
eine Mühle und eine Herrenwiese (br?le). Zu dem Forstamt gehören in
Kell zwei Forsthöfe und je ein Fischerhof (vischerhuve) und Zeidelhof
(cydelhuve). Die vielfältigen Abgaben sind detailliert aufgeführt.
Sowohl die Testamentsurkunde des Diakons Adelgisel-Grimo von 634 als
auch der Prekarievertrag zwischen Gozbert und der Abtei St. Maximin von
923 sind für die lokale und regionale Geschichtsforschung von
außergewöhnlicher Bedeutung. __________________________________________________________________________________ Ungerdruckte Quellen LANDESHAUPTARCHIV Koblenz Best. 1A Nr. 1 und 1C Nr. 3887. NATIONALBIBLIOTHEK Paris BN nouv. latin 22281 Nr. 2. STADTARCHIV Trier Hs. 1622/405, Blatt 915 ff.
Gedruckte Quellen BEYER
Heinrich, Urkundenbuch zur Geschichte der jetzt die Preußischen
Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden Mittelrheinischen
Territorien, Band 1, Koblenz 1860. BEYER Heinrich, ELTESTER Leo und
GOERZ Adam, Urkundenbuch zur Geschichte der jetzt die Preußischen
Regierungsbezirke Coblenz u. Trier bildenden Mittelrheinischen
Territorien, Band 2, Koblenz 1865. HONTHEIM Nikolaus, Historia Trevirensis diplomatica et pragmatica, Band 2, Augsburg 1750.
Literatur IRSIGLER
Franz, Gesellschaft. Wirtschaft und religiöses Leben im
Obermosel-Saar-Raum zur Zeit des Diakons Adalgisel Grimo, in:
Hochwälder Geschichtsblätter 1/1989, Seite 5-18. KÖLZER Theo,
Studien zu den Urkundenfälschungen des Klosters St. Maximin vor Trier
(Vorträge und Forschungen Sonderband 36), Sigmaringen 1898. LAUER
Dittmar, Das Testament des Adalgisel Grimo aus dem Jahre 634. Zur
Überlieferungs-geschichte der ältesten Urkunde der Rheinlande, in:
Hochwälder Geschichtsblätter 1/1989, Seite 19-23.
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